Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter empfehlen
Von der Autorin der Sommerlesung 2024:
Die Geschichte einer Freundschaft, geboren im siebenbürgischen Sachsen
Iris Wolff: Lichtungen. Roman. – Roman, 2024. – 255 Seiten
Titel verfügbar? Reading Challenge - RTRC24 ein Wort / RTRC24 Reise
"In allem gab es diese Dunkelstellen, wo die Erfahrung aufhörte und die Erinnerung anfing. Etwas blieb, und etwas ging verloren, manches schon im Augenblick des Geschehens, und wie sehr man sich bemühte, es tauchte nie wieder auf. Erinnerungen waren über die Zeit verstreut wie Lichtungen. Man begegnete ihnen nur zufällig und wusste nie, was man darin fand."
Ich habe mich von Iris Wolff nicht verführen lassen, den Roman von vorne nach hinten zu lesen. Ich wollte ihn chronologisch in der Zeitachse von der Vergangenheit bis zur Gegenwart lesen. Dafür habe ich mit Kapitel eins von hinten angefangen – und es nicht bereut.
Lev und Kato sind Freunde im Norden des kommunistischen Vielvölkerstaates Rumänen, im siebenbürgischen Sachsen, genauer in Maramuresch an der Grenze zu Ungarn, und sie verbringen ihre Kindheit und Jugend in einer einengenden Diktatur. Die Öffnung der europäischen Grenzen verändert ihre Lebenspläne und ihre Beziehung. Die quirlige, künstlerisch veranlagte Kato zieht in den Westen, Lev bleibt in Rumänien und lebt von ihren gezeichneten Postkarten, die ihn von verschiedenen Orten Europas erreichen. Die Postkarte „Wann kommst Du?“ lockt ihn nach Zürich, und dort trifft er die Straßenmalerin Kato nach fünf Jahren wieder. Die fünf Jahre haben sie verändert. Und das alte Thema ist sofort wieder präsent: Freundschaft auf der einen Seite, Liebe auf der anderen. Freiheitsbedürfnis auf der einen, der Wunsch nach Sicherheit und Verbundenheit auf der anderen.
Poetisch, einfühlsam, präzise und mit Distanz lässt die in Siebenbürgen geborene Autorin die Protagonist*innen, drei Jahrzehnte Vergangenheit und wie ein Hintergrundrauschen die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse und Veränderungen lebendig werden.
Tanja Schleyerbach
Zeitgemäßer Jazz mit Sommerfeeling auf höchstem Niveau
Mehrere CD-Neuerscheinungen versprechen Freude und Schwung im Alltag oder in den Ferien. Wer sich vom Charme dieser Jazzmusik mitnehmen und begeistern lassen möchte, den lade ich ein, die folgenden Titel zu hören:
DDG19 Big Band / Dani Gurgel & Debora Gurgel. – 2024 – 1 CD
Titel verfügbar?
Die Brasilianerin Dani Gurgel bestimmt mit ihrer Stimme und ihrem Scatgesang die Musik dieser CD, die mit Latin Jazz erfüllt ist. Sie wird kongenial von ihrer Mutter Debora unterstützt, die eine famose Bigband vom Klavier aus leitet. Zusammen mit ihrer Bigband schaffen die beiden Frauen eine Musik, die ansteckend und voller Lebensfreude ist. Besonders gefallen mir die Titel Rodopio und Garra, denn hier scheint auch bei schlechtem Wetter die Sonne. Die virtuosen Scatlinien von Dani Gurgel werden von unterschiedlichen Instrumenten perfekt begleitet und die Band trägt die Musik mit großer Verve vor.
Volle Punktzahl!
Tough Stuff / Iiro Rantala HEL Trio. – 2024 – 1 CD
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Der „Stuff“ auf der CD des HEL Trios ist in der Tat „tough“. Mit dem von Iiro Rantala perlend gespielten Piano, dem klangvoll mächtigen Bass von Conor Chaplin und Anton Eger an den variabel gestalteten Drums, heizt das Trio seinen Hörern in nahezu allen Titeln kräftig ein. Überragend finde ich die Titel Tough Stuff, Tae Kwon Don’t und Will you be me Bop? Und als Gastmusiker überzeugt Mathias Heise an seiner Harmonica Liberty City, dem letzten Titel der CD. Tolle Musik!
The answer. young german jazz / The Jakob Manz Project. – 2024 – 1 CD
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Die Youngsters aus Baden-Württemberg um Jakob Manz grooven im Jakob Manz Project und erstrahlen mit einem satten Sound auf ihrer neuen, zweiten CD „The Answer“. Sie integrieren in ihrer Musik wie selbstverständlich Klänge aus Westafrika, Alphorn oder Violine. Inspiriert wurden ihre neuen Stücke von Musik aus Haiti und von der Zusammenarbeit mit dem Pianisten Meddy Gerville aus La Réunion. Sehr cool!
The Gallery Concerts III. Rag Bag / Bernd Lhotzky. – 2024 – 1 CD
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Und für Freunde des Stride Piano empfehle ich zuletzt die CD von Bernd Lhotzky: The Gallery Concerts III - Rag Bag, auf der er eigene Musik und Titel von Joplin, Smith, Ellington und Sampson spielt. Hier zeigt sich ein absoluter Könner in einer Liveaufnahme.
Mehr Jazz-CDs finden Sie in unserem digitalen Streaming-Angebot der Naxos Music Library Jazz. Hören Sie von zu Hause hinein, ohne Gang in die Stadtbibliothek. Der Zugang erfolgt mit Bibliotheksausweisnummer und dem Passwort. In der Playlist „Sommerfeeling“ sind drei der vier CDs online anzuhören.
Axel Blase
Viel Super Mario und ein bisschen Shakespeare
Gabrielle Zevin: Morgen, morgen und wieder morgen. – Roman, 2023. – 559 Seiten
Titel verfügbar? Reading Challenge - RTRC24 500 Seiten
Von Anfang an ist es die Liebe zu Videospielen, die Sadie und Sam verbindet. Als Kinder begegnen sie sich im Aufenthaltsraum eines Krankenhauses und spielen dort gemeinsam an der Spielekonsole. Aus dem zufälligen Treffen, werden regelmäßige Spielenachmittage und schließlich eine Freundschaft, die vor allem Sam hilft seine langwierige Genesungszeit im Krankhaus zu überstehen. Jahre später begegnen sich beide zufällig wieder. Beide haben ihre Leidenschaft für Computerspiele zum Beruf gemacht und beschließen gemeinsam ein eigenes Videospiel zu programmieren. Das Spiel wird ein Erfolg. Doch nicht nur Ruhm und Rivalitäten sind es, die ihre Freundschaft auf die Probe stellen.
Gabrielle Zevin nimmt ihre Leser mit auf eine Zeitreise in die Welt der Videospiele der 1990er Jahre. Ihre Einblicke in die Popkultur von Super Mario, Donkey Kong oder Commander Keen wirken wie eine Hommage an die Anfänge der digitalen Spielewelt. Dabei muss man selbst kein Spielekenner sein, um sich von Zevin für diese Thematik begeistern zu lassen. Sie schildert eine dynamische und im Aufbruch begriffene Branche, welche Träume scheinbar wahr werden lässt. Allem voran ist „Morgen, morgen und wieder morgen“ aber eine Geschichte über eine Freundschaft. Wir begleiten Sadie und Sam über viele Jahre ihres Lebens. Der Titel des Romans, ein Zitat aus Shakespeares „Macbeth“, wirkt dabei wie eine mahnende Erinnerung an das unaufhaltsame Voranschreiten und die Unumkehrbarkeit unserer Lebenszeit. Weiterhin ist es Zevins vielschichtige und empfindsame Schilderung der beiden Protagonisten, welche den Leser an die Buchseiten fesselt und das Buch zu einer klaren Leseempfehlung macht.
Jennifer Ludmann
Klassiker des nature writing erstmals in neuer deutscher Übersetzung
Gavin Maxwell: Ein Ring aus hellem Wasser. Meine Jahre an Schottlands wilder Westküste. – Biografie, 2021. – eBook, 336 Seiten
Titel verfügbar?
"Ein Ring aus hellem Wasser" von Gavin Maxwell ist ein autobiografisches Werk, das von Maxwells Leben mit Ottern, Wildgänsen und anderen wilden Tieren in einer abgelegenen Gegend Schottlands in den 1950er-Jahren erzählt. Das Buch schildert auf eindrucksvolle Weise die Schönheit und Wildheit der Natur, sowie den tiefen menschlichen Wunsch nach Bindung zwischen Mensch und Tier. Maxwells Erzählstil ist poetisch und fesselnd, und seine Beschreibungen der Landschaft und der Tiere sind lebendig und detailreich. Dieses Buch ist nicht nur eine Liebeserklärung an die schottische Wildnis, sondern auch eine bewegende Reflexion über Einsamkeit, Freundschaft und Verlust. Es ist eine empfehlenswerte Lektüre für Naturliebhaber, auch wenn die Vorstellungen des Autors von einem naturverbundenen Leben aus heutiger Sicht stellenweise naiv wirken.
Argiro Mavromatis
Eins der besten Bücher überhaupt!
Ulf Kvensler: Der Ausflug. Nur einer kehrt zurück. – Thriller, 2024. – 460 Seiten
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Anna, ihr Verlobter Henrik und ihre langjährige Freundin Milena haben es sich zur Tradition gemacht, jeden Sommer eine Wanderung in Nordschweden zu unternehmen. Dieses Jahr habe sie ihren Ausflug in den September verschieben müssen und dann bringt Milena auch noch ihren neuen Freund mit. Jacob reißt schnell das Ruder an sich und schlägt eine andere, herausfordernde Route in den Nationalpark Sarek vor. Die Landschaft ist malerisch, aber genießen kann keiner den Ausflug. Die anfängliche Spannung geht nahtlos in Streitigkeiten über und gipfelt in Schrecken und Todesangst. Der Roman wird aus der Ich-Perspektive von Anna erzählt, durch die der Ausflug hautnah miterlebt werden kann. Unterbrochen werden die Schilderungen durch wenige Rückblenden in die Vergangenheit und dem Protokoll der Zeugenvernehmung von Anna im Krankenhaus. Ich habe dieses Buch in einem Schwung durchgelesen, in etwa 4 Stunden, und bin nur so durch die Seiten geflogen!
Ich wüsste ehrlich nicht, wen dieses Buch nicht mitreißen kann! Absolute Empfehlung!
Katrin Grießinger
Sprache als Werkzeug zur Macht
Rebecca F. Kuang: Babel. – Fantasy Roman, 2023. – 544 Seiten
Titel verfügbar? Reading Challenge - RTRC24 500 Seiten
Sprache ist ein Kommunikationsmittel, ein Werkzeug, eine Brücke. Doch was wäre, wenn Sprache darüber hinaus auch etwas Magisches wäre und damit der Schlüssel zur Herrschaft über die Welt?
Robin Swift, ein chinesischer Waisenjunge, wächst 1828 in London unter der Obhut seines Ziehvaters Professor Lovell auf. Von Kindesbeinen an bereitet der Professor sein Mündel auf ein Studium an dem Königlichen Institut für Übersetzung der Universität Oxford, kurz Babel genannt, vor. Als Robin nach dem jahrelangen disziplinierten Studium von Latein, Altgriechisch und Chinesisch, schließlich an dem Institut angenommen wird, wähnt er sich am Ziel seiner Träume. Denn in Babel werden nicht nur Sprachen gelehrt. Die durch eine Übersetzung entstehenden Ungenauigkeiten und Verzerrungen enthalten eine magische Kraft. Diese kann durch die Kunst des sogenannten „Silberwerkens“ in Silberbarren gebannt werden. Die Perfektionierung des „Silberwerkens“ macht Babel zum Machtzentrum des Britischen Empires und das Britische Empire zur vorherrschenden Nation in der Welt.
Doch schon bald muss Robin erkennen, wer den Preis für diese Macht zahlt.
Der Roman ist zugleich eine etymologische Reise, ein gesellschaftskritisches Manifest, ein Fantasy-Abenteuer und eine historische Erzählung. Diese verschiedenen Stränge und Motive werden von der Autorin meisterhaft zu einem Gesamtkunstwerk verknüpft. Insbesondere beindruckt das umfassende und detailreiche Wissen über die Funktionsweise von Sprache, welche der Roman vermittelt. Rebecca F. Kuang thematisiert offen und schonungslos Themen, wie Rassismus oder Kolonialismus. Trotz der historischen Verortung des Romans vermitteln ihre Schilderungen eine Aktualität und Brisanz, die einen noch lange begleiten, nachdem man das Buch bereits beendet hat. Ein außergewöhnlicher und kunstvoller Roman mit einer klaren sozialkritischen Botschaft.
Jennifer Ludmann