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Empfehlungen Dezember 2023

Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter empfehlen

Buch-Cover: Ein Hof und elf Geschwister Buch-Cover: Das Leuchten der Rentiere Buch-Cover: Land aus Schnee und Asche Buch-Cover: Das Liebespaar des Jahrhunderts Buch-Cover: Harte Tage, gute Jahre Buch-Cover: Obdachlos katholisch


 

Bäuerliches Leben im Wandel – eine autobiografisch-familiäre Annäherung

Buch-Cover: Ein Hof und elf Geschwister. Der stille Abschied vom bäuerlichen LebenEwald Frie: Ein Hof und elf Geschwister. Der stille Abschied vom bäuerlichen Leben. – Sachbuch, 2023. – 190 Seiten

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1962 als neuntes von elf Geschwistern in eine katholische Bauernfamilie geboren, ist Ewald der einzige, der eine universitäre Laufbahn einschlägt: er ist Professor für Neuere Geschichte an der Universität Tübingen. Sein Interesse in diesem Buch gilt der eigenen Familie, dem Leben auf deren Bauernhof, der Erinnerung seiner Geschwister an die Kindheit, die Veränderungen über Jahrzehnte und dem Abschied von bäuerlichen Strukturen. Anhand eigener Erinnerungen, Interviews mit seinen Geschwistern und Archivmaterial zeichnet Frie das Leben und den Wandel in der bäuerlichen Großfamilie eindrücklich nach. Dabei wahrt er einerseits professionelle Distanz als Wissenschaftler und verwebt andererseits eigenes Erleben und Interviewmaterial zu einem Gesamtwerk. Die Eltern werden in ihren Persönlichkeiten sehr lebendig dargestellt. Das Buch ist 2023 mit dem Deutschen Sachbuchpreis ausgezeichnet worden.

Tanja Schleyerbach

 

In den Weiten Lapplands

Buch-Cover: Das Leuchten der RentiereAnn-Helén Laestadius: Das Leuchten der Rentiere. – Roman, 2022. – 448 Seiten

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Die Sámi Elsa ist neun Jahre alt, als sie allein Zeugin des Mordes an ihrem Rentierkalb wird und der Täter ihr droht, zu schweigen. Sie begreift wie bedroht das traditionelle Leben der Samen ist, denn wieder einmal sieht die Polizei keinerlei Anlass, in einem Verbrechen zu ermitteln. Elsas Rentier gilt schlicht als "gestohlen". Ein Roman, so fesselnd und bezaubernd wie die schneebedeckte Weite, in der er spielt.

 

Buch-Cover: Land aus Schnee und AschePetra Rautiainen: Land aus Schnee und Asche. – Roman, 2021. – 320 Seiten

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Finnland 1947: Die Journalistin und Fotografin Inkeri lässt sich in einem kleinen Ort in Westlappland nieder, um den Wiederaufbau des durch den Krieg verwüsteten Landes zu dokumentieren und herauszufinden, was mit ihrem Mann geschehen ist, der während des Krieges spurlos verschwand. Als ihr ein Tagebuch aus Kriegszeiten in die Hände fällt, scheint sie das Rätsel endlich lösen zu können.

In beiden Büchern erhält man einen Einblick in Leben und Kultur der Samen im Norden Europas, und welchem Druck sie in den skandinavischen Ländern als Minderheit ausgesetzt waren und heute noch sind.

Alexandra Piper

 

Ein Liebesroman als Langzeitstudie

Buch-Cover: Das Liebespaar des JahrhundertsJulia Schoch: Das Liebespaar des Jahrhunderts. Biographie einer Frau. – Roman, 2023. – 190 Seiten

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„Das Unglück ist nicht auf uns herabgestürzt, es ist nicht über uns hereingebrochen, es ist langsam in uns eingedrungen.“

Die vielfach ausgezeichnete Autorin (u.a. Ehrengabe der Deutschen Schillerstiftung, Schubart-Literaturpreis) beschäftigt sich im zweiten Teil von „Biographie einer Frau“ (1. Teil: Das Vorkommnis) mit einer namenlosen Schriftstellerin, die die Liebe in 30 Jahren schwinden sieht. Nach vielen Jahren des Zusammenlebens will sie ausbrechen, immer wieder, plant die Sätze ihres Abschieds minutiös, packt die Koffer - und schafft es einfach nicht. Die Gründe sind mannigfaltig. Sie rätselt, wie es dazu kommen konnte? Wohin ist die Liebe verschwunden?  Kann man von Scheitern sprechen, wenn die Beziehung doch so lange hält – trotz Ausbruchsversuchen, trotz Fremdgehens?

Julia Schoch blickt in dieser Langzeitstudie auf Jahre unfassbarer Verliebtheit zurück, auf das einzige Paar, das den Trennungen um sie herum trotzt, das dem profanen Unglück der anderen weit überlegen scheint, das Vereinbarungen zur Liebe und Beziehung getroffen hat. Sie schildert die Zeit mit den beiden Kindern, die Ernüchterung, die Wendepunkte, die ewigen Streitereien wie bei anderen Paaren, den profanen Alltag als Liebesfresser, die Zeit des Schweigens, der Entfremdung, der inneren und äußeren Kämpfe, der Annäherungen, des Schönredens, die Vorstellung des Alleinseins, die Erkenntnis, dass der andere ganz anders empfindet und am Ende: die letztliche Zufriedenheit mit dem, was man ein erfülltes Leben nennt. Julia Schochs Sätze sind von einer bestechenden Nüchternheit und Klarheit. Immer wieder flicht sie Zeitgeschichte mit ein.

Ich wünschte mir bei Lesen immer wieder ein Foto der beiden, damit die geschilderte Beziehung noch lebendiger werden und ein reales Bild vor mir entstehen könnte. Große Literatur zum Alltag einer (Liebes-)Beziehung.

Tanja Schleyerbach

 

Die Sennerin vom Geigelstein

Buch-Cover: Harte Tage, gute JahreChristiane Tramitz: Harte Tage, gute Jahre. – Sachbuch, 2019. – 271 Seiten

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Die Autorin erzählt eindrücklich und jenseits jeglicher Bergromantik das Leben der Maria Wiesbeck, die viele Wanderer in den Chiemgauer Alpen als die „Mare“ von der Oberkaser-Alm auf dem Geigelstein kannten.

1941 beschließt die siebzehnjährige Bauerntochter Maria, als Sennerin auf die Oberkaser-Alm zu gehen, nachdem sie von Xaver, ihrer ersten großen Liebe, bitter enttäuscht wurde. Bis zu ihrem Tod 2017 bleibt sie auf dem Geigelstein und erlebt viele Höhen und Tiefen. Die raue, erbarmungslose Natur, die Auswirkungen des Krieges, die Vorschriften der Behörden und die Gier der Mitmenschen, die sie aus ihrer Hütte vertreiben wollen, bestimmen die eine Seite ihres Lebens. Auf der anderen Seite steht die Schönheit der Bergwelt, die Liebe zu ihren Tieren, die unbeschwerten Stunden mit den Gästen auf der Alm und ihre Unabhängigkeit, die ihr wichtiger als alles andere ist.

Es wird sehr berührend beschrieben, wie Maria im Lauf ihrer letzten Jahre immer vergesslicher wird, in ihrer eigenen Gedankenwelt lebt und zu verwahrlosen droht. Sie weigert sich, ihren Lebensabend im Tal zu verbringen und mit Hilfe von Freunden und Nachbarn, die sich um sie kümmern, kann sie bis zu ihrem Tod in ihrer Hütte bleiben.
Ein beeindruckendes Buch über eine ungewöhnliche Frau!

Renate Goldbrunner

 

Aktueller Erfahrungsbericht und Ringen um neue Wege für überholte Kirchenstrukturen

Buch-Cover: Obdachlos katholischRegina Laudage-Kleeberg: Obdachlos katholisch. Auf dem Weg zu einer Kirche, die wieder ein Zuhause ist. –  Sachbuch, 2023. – 203 Seiten

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Regina Laudage-Kleeberg, Religionswissenschaftlerin, Volkskundlerin und ehemalige Mitarbeiterin im Bistum Essen hat ihren Job bei der Kirche zugunsten einer Arbeit im Change-Management im IT- und Finanzsektor aufgegeben. Nicht aber ihren Glauben und noch nicht einmal ihre Kirchenmitgliedschaft – trotz Hadern, Zweifeln, Wut, Enttäuschung und Ausprobieren von eigenen neuen Wegen. Offen und ohne Umschweife beschreibt sie trotz allem sachlich und nicht polemisch ihr zunehmendes Gefühl von Obdachlosigkeit unter dem Dach der Kirche, ihrer tiefen Sehnsucht nach Dazugehören und doch immer wieder abgelehnt und sich von den felsenfesten „inner-circles“ ausgegrenzt fühlend. Natürlich sind es auch die Missbrauchsskandale und der Umgang mit ihnen, die sie wütend machen, eine Sprache und Denkweise, die die Menschen nicht mehr erreicht, konservative Bibelauslegungen, verharmlosende Sätze sowie die Erschöpfung der Kämpfenden und in der Kirche Verbleibenden. Sie nimmt Obdachlosigkeit ernst und lässt immer wieder Begegnungen mit Menschen ohne Bleibe einfließen. Die leidenschaftliche Katholikin berichtet von einem schlichten und befreienden Beichterlebnis, über Versuche, Ostern außerhalb der Kirche während der Pandemiezeit im Treppenhaus zu feiern, lässt ihre Leser/innen an ihren Prinzipien, denen sie treu bleibt, teilhaben und begibt sich auf die Suche nach einer radikalen neuen Freiheit und neuen Wegen, die alle mitnehmen. Frisch, aktuell, ehrlich, mutig und nicht nur für katholische innerlich Heimatlose, sondern für alle, die an ihrer Kirche zweifeln und an deren Strukturen und ausgrenzenden Seilschaften verzweifeln oder schon ausgetreten sind - sehr lesenswert. Vor allem für haupt- und ehrenamtliches kirchliches Personal eine scharfe Analyse der hausgemachten Probleme in Bezug auf die Austrittszahlen mit Anregungen, es so schnell wie möglich besser und zeitgemäße Angebote für alle zu machen.

Tanja Scheyerbach