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Empfehlungen März 2025

Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter empfehlen

Buch-Cover: Die Arbeiterin Buch-Cover; Zefira Buch-Cover: Windstärke 17 Buch-Cover:  Trauriger Tiger  Buch-Cover: Sachs  Buch-Cover: Die Vegetarierin


 

Philosophische und praktische Aufarbeitung des Abschiednehmens von der eigenen Mutter

Buch Cover: Die ArbeiterinDidier Eribon: Eine Arbeiterin. Leben, Alter und Sterben. 2024. 270 Seiten

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Der durch Rückkehr nach Reims bekannt gewordene französischer Journalist, Autor, Soziologe und Philosoph Didier Eribon hat ein Buch über seine Mutter geschrieben, aber auch über das Altern, über den Umzug ins Pflegeheim und die möglichen Folgen für die Betroffenen, über Unfreiheit, über den letzten Umzug, die letzte Station, über Wut, Widerstand und Aufgeben, über Enge, Scham, Zeitmangel des Personals und Verlust der Selbstbestimmung. Genau seziert er das Verhältnis zu seiner Mutter, beschreibt ihre Biografie und versucht gleichzeitig, ihre Perspektive als pflegebedürftiger Mensch einzunehmen, wohl wissend, dass er daran scheitern wird. Eribon, der mit drei Brüdern aufwuchs und sich frühzeitig von seiner „Klasse“ distanzierte, als Homosexueller Nischen und Freiräume suchen musste und den Weg des Intellektuellen einschlug, schildert kein harmonisches Familiengefüge. Trotz des ihn abstoßenden Rassismus seiner Mutter nähert er sich ihr im Alter immer wieder an, besucht sie und verpasst den Moment ihres Sterbens. Erinnerungen an seine Kinder- und Jugendzeit werden bei den Besuchen wach. Zur Beerdigung geht er ebenso wenig wie zu der seines Vaters. Er setzt sich in dem Buch mit anderen Philosophen und Filmen zu philosophischen und praktischen Fragen des Alterns, der Pflege und Sterbens und seinem Trauerprozess auseinander und gibt viele weiterführende Literaturhinweise. Unsentimental und gleichzeitig berührend schildert er das Abschiednehmen eines Sohnes, der nach dem Tod der Mutter keiner mehr ist.

Tanja Schleyerbach

 

Actionreiche Dystopie

Buch-Cover: ZefiraThomas Thiemeyer: Es hätte sie nie geben dürfen. – 2024. – 413 Seiten – (Zefira ; 1) 

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Maddie ist ein Waisenkind und lebt mit ihren sieben Geschwistern bei ihrer Adoptivmutter, für deren Restaurant sie Essen in Neo-Hong-Kong ausliefert. Das kann durchaus gefährlich werden, denn in der Metropole kämpft jeder um seine Existenz. Auch Maddie kommt immer wieder in gefährliche Situationen – fast hätte sie ihr Leben verloren, doch sie kann sich selbst retten, oder war das die Stimme in ihrem Kopf? Hat sie die Kontrolle über ihren Körper verloren? Um all diese Fragen zu beantworten begibt sich Maddie auf die Suche nach ihrer Vergangenheit. Dass sie sich dabei mit dem größten Biotechkonzern der Stadt anlegt, ahnt sie noch nicht. Die Geschichte ist ein guter Mix aus Sci-Fi/Dystopie und ein bisschen Romance, die Action kommt aber meiner Meinung nach nie zu kurz, weswegen mir der Titel sehr gut gefallen hat!

Michelle Micic

 

Ein zerbrechliches Leben

Buch Cover : Windstärke 17Caroline Wahl: Windstärke 17. – 2024. – 253 Seiten

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Es dauerte ein bisschen, bis ich durch die Bemerkung 22 Bahnen feststellte, dass in Windstärke 17 die Perspektive von Ida, bekannt als Schwester Tildas aus 22 Bahnen, dargestellt wird. Beide kommen aus demselben Mutterhaus. Zu dritt wohnten sie im traurigsten Haus der Fröhlichstraße in einer Kleinstadt. Ida ist inzwischen auf Rügen gestrandet, wo Marianne und Knut sie bei sich aufnehmen - einfach so. Ihr eine Heimat geben, sie versorgen und gleichzeitig in Ruhe lassen, sie verstehen und eine Struktur geben: abends jobbt sie in Knuts Kneipe. Immer wieder bekommt Ida Panikattacken. Ihr Wutklumpen im Bauch ist unvorstellbar groß. Sie konnte ihre alkoholkranke Mutter nicht retten, und mit Tilda hat sie inzwischen den Kontakt abgebrochen. Tilda hat ihr Leben im Griff. Das erträgt Ida nicht. Über ihre Mutter spricht sie in der falschen Zeitform, als ob diese noch lebte. Das Meer ist ihre Herausforderung, der sie sich immer wieder stellt gegen tosende Wellen, dem Tod näher als dem Leben. Das Schreiben wird ihr Ventil. Sie führt zerbrechliches Leben, das den Beschützerinstinkt bei anderen Protagonist/innen weckt. Leif tritt in ihr Leben, ein bekannter DJ. Und dann bekommt Marianne eine Krebsdiagnose. Idas Leben steht auf tönernen Füßen, aber sie findet immer besser Halt und Vertrauen. Am Ende besucht sie das Grab ihrer Mutter zusammen mit Leif. Immer mehr stellt sie sich ihren Wunden und tastet sich vorsichtig an deren Heilung heran.

Tanja Schleyerbach

 

Ausgezeichnet mit sechs Literaturpreisen!

Buch Cover: Trauriger TigerNeige Sinno: Trauriger Tiger. – 2024. – 304 Seiten

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Ist es ein Sachbuch oder ein Roman? Ich weiss es nicht, aber es ist auf jeden Fall ein Buch, dass man unbedingt gelesen haben muss: es ist die persönliche Lebensgeschichte der Schriftstellerin selbst. Eine Kindheit mit emotionalem Missbrauch und sexueller Gewalt, eingebettet in ein nach außen normales Familienleben, aufgebaut zwischen Lügen und Täuschungen.

„Ein erschütternd eindringliches und wichtiges Buch.“ Elke Heidenreich

„Das beste Buch, das ich seit langem gelesen habe.“ Annie Ernaux

Maike Schneider

 

Temporeicher Thriller mit intelligenten Twists

Buch Cover: SpurlosSachs, Leon: Spurlos. – 2024. – 382 Seiten

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Robin lässt zuverlässig Leute verschwinden, die aus ihrem eigenen Leben verschwinden müssen oder möchten. Sie und ihre Kollegen kümmert sich in ihrer Agentur um alles Notwendige und das ohne Spuren zu hinterlassen. Alles läuft gut, bis sie über ihr Notfalltelefon, dass seit drei Jahren nicht mehr geklingelt hat, live miterleben muss, wie zwei ihrer Schützlinge eiskalt hingerichtet werden.

Sie versucht noch herauszufinden, wie die Identität dieser Personen herausgefunden werden konnte und weshalb sie sterben mussten, als sie eine Drohung gegen alle bekommt, die ihr nahestehen. Gibt es ein Leck in der Agentur? Eins steht fest: Sie muss selber verschwinden!

Wirklich gutes Buch, dass sich schnell und gut durchlesen lässt.

 

Ein kompromissloser Einblick in psychische Krankheiten und ihren Umgang damit in der südkoreanischen Gesellschaft

Buch Cover: Die VegetarierinHan Kang: Die Vegetarierin. –  2016. – 289 Seiten

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Die Seoulerin Han Kang erhielt 2024 den Nobelpreis für Literatur. Ausgezeichnet wurde ihr Buch „Die Vegetarierin“ 2016 mit dem Man Booker International Prize (für sie und ihre Übersetzerin). Auch andere Bücher von ihr gewannen renommierte internationale Preise.

Kim Yong-Hye und ihr Ehemann führen ein unauffälliges Leben in Seoul. Er geht arbeiten, sie ist eine pflichtbewusste Hausfrau, Leidenschaft kommt in ihrer eintönigen Beziehung nicht vor. Als Yong-Hye den Entschluss fasst, sich ausschließlich vegetarisch zu ernähren und alle tierischen, auch teuren Produkte aus dem Haushalt entfernt, gleicht das einer Revolution, Vegetarismus gilt als subversiv in ihrem Land. Sie hatte einen Traum, und das muss als Erklärung des Umstiegs auf vegetarische Ernährung für ihren Mann und ihre Umwelt reichen. Ihr Mann hält sie für vollkommen verrückt und wird mit ihrer Entscheidung aus seiner angenehmen Langeweile gerissen. Ihre Familie reagiert verständnislos, Konventionen sind in Südkorea starr und streng. Die ganze Familie arbeitet daran, sie zum Fleischessen zu zwingen. Zudem fängt Yong-Hye an, sich als Pflanze fühlend und Träume für real haltend, sich außer Haus zu entblößen und ihren Mann gut sichtbar ohne BH zu einem Geschäftsessen zu begleiten. Als immer grotesker, abgründiger und kompromissloser schildert ihr Mann das Leben Yong- Hans: sie lehnt sich sukzessive gegen mehr Konventionen auf und rutscht immer tiefer in psychische Erkrankungen hinein, ohne sich helfen zu lassen.

Die teils verstörende Geschichte thematisiert Anorexia und andere psychische Krankheiten, gibt mit der Familiengeschichte einen Einblick in die südkoreanische Gesellschaft und wird aus verschiedenen Perspektiven erzählt: Von ihrem Mann, ihrem Schwager und ihrer Schwester.

Surreal, abgründig und eindringlich

Tanja Schleyerbach

Empfehlungen März 2024

Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter empfehlen

Buch-Cover: Frankie DVD-Cover: Contra Buch-Cover : Feel Again Buch-Cover: Der Eisbrecher Buch-Cover: Möge der Tigris um dich weinen Buch-Cover: 22 Bahnen


 

Lachflashs und Heulkrämpfe inklusive!

Buch Cover: FrankieJochen Gutsch, Maxim Leo: Frankie. – Roman, 2023. – 186 Seiten

Titel verfügbar?       Reading Challenge - RTRC24 Tier / Ein Wort

»Das wär nix für mich, so’n Lebenssinn. Erstmal muss man ihn finden. Und dann muss man drauf aufpassen, damit man ihn nicht verliert.«

Ein Straßenkater mit abgebissenem Ohr, der unter einer Badewanne auf einem Müllberg lebt, trifft auf den suizidgefährdeten Schriftsteller und Journalist Gold. Nun muss Gold auf Frankie aufpassen und sein Selbstmord wird auf unbestimmte Zeit verschoben. Durch ihn lernt Frankie die Welt außerhalb vom Müllberg und Gestrüpp im Wald kennen. Eine unglaublich lustige aber gleichzeitig traurige Geschichte über das Leben aus (Straßen-) Kater-Sicht.

Michelle Micic

 

Zu den internationalen Wochen gegen Rassismus vom 11. - 21. März

Aktuelle Hochschuldramedy

DVD Cover: ContraContra. – Regie: Sönke Wortmann. – 1 DVD, 2020. – 99 Minuten

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Naima Hamid (Nilam Farooq) studiert an der Frankfurter Goethe-Universität und wird als Erstsemesterin in einem Seminar von ihrem Dozenten Richard Pohl (Christoph Maria Herbst) im vollbesetzten Hörsaal rassistisch beleidigt. Den erwartet vom Präsidium ein Disziplinarverfahren, und der Rektor baut ihm eine Brücke. Wenn er Naima für den an der eigenen Uni stattfindenden Rhetorikwettbewerb im Einzelunterricht vorbereitet, könnten seine Chancen im Disziplinarprozess besser stehen. Widerwillig lässt sich Pohl darauf ein, und auch Naima muss Widerstände überwinden. Der Zuschauer wird Zeuge eines Prozesses der vorsichtigen Annäherung, bis Naima feststellen muss, dass diese Vorbereitung nicht als Wiedergutmachung für die verbalen Ausfälle des Dozenten, sondern dem Ruf der Universität und der Rettung von Pohls Stelle dienen soll. Sie fühlt sich missbraucht und hintergangen.

Spannende, aktuelle Gesellschaftskomödie. Für viele.

Tanja Schleyerbach

 

Kann aus einem Deal Liebe werden?

Buch Cover: Feel AgainMona Kasten: Feel Again. – Jugendbuch, 2017. – 477 Seiten

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Im dritten Band der Reihe geht es um Isaac und Sawyer, die man beide schon in den beiden Bänden davor kennenlernen durfte. Sawyer war nach dem Tod ihrer Eltern nicht mehr dieselbe und ist zu einer Außenseiterin geworden. Und eigentlich hält sie sich von Nerds wie Isaac fern. Doch als sie für ihr Fotoprojekt jemanden brauchte, beschlossen sie einen Deal. Er lässt sich von ihr zum Bad Boy umgestalten und sie hilft ihm dabei eine Freundin zu finden. Doch sie haben beide nicht damit gerechnet wie groß ihre Anziehung sein kann.

Dieses Buch war sehr emotional, spannend und fesselnd. Die beiden konnten gegensätzlicher nicht sein, aber sie sind sehr zusammengewachsen und sich immer näher gekommen.

Vanessa Haas

 

Spannung pur

Buch Cover : Der EisbrecherAmy McCulloch: Der Eisbrecher. – Thriller, 2023. – 444 Seiten

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Olivia reist mit ihrem Freund nach Ushuaia, um dort auf einem Eisbrecher die Antarktis zu durchqueren. Als das Luxusschiff ablegt, stellt sie fest, dass ihr Freund noch auf dem Festland sein muss. Noch unklar, ob mit Absicht oder aus Versehen, stellen sie die aktuellen Vorkommnisse an Bord vor neue Herausforderungen: Zwei Passagiere sterben ganz plötzlich. War es ein Unfall oder gar Mord? Mitten in der wunderschönen Natur der Antarktis - ohne Polizei, Telefone oder Rettungsmöglichkeiten - stellt sie fest, dass sie ganz auf sich allein gestellt ist und niemandem vertrauen kann.

Katrin Grießinger

 

Bedrückender, berührender Ehrenmord

Buch Cover: Möge der Tigris um dich weinenEmilienne Malfatto: Möge der Tigris um dich weinen. – Roman, 2023. – 91 Seiten

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Irak. Die namenlose Ich-Erzählerin und Mohammed wollen sich offiziell verloben, wenn er aus dem Krieg zurückkommt; die Familie hat schon zugestimmt. Doch er kehrt nicht zurück und sie bleibt unverheiratet und schwanger zurück, gesellschaftlich nicht tolerabel. "Der Tod ist in mir. Er ist mit dem Leben gekommen." Aus ihrer und sieben weiteren Ich-Perspektiven der Familienmitglieder wird der nahende Ehrenmord beleuchtet. Da ist der große Bruder, der zum Mörder werden wird; die unterwürfige Schwägerin, die ihren Platz kennt; die Mutter, die ihr Leben selbst hinter Mauern und Schleiern geführt hat; der moderate und liberale Bruder, der die Regeln verurteilt, aber nicht dagegen aufbegehrt. Und zwischendrin immer wieder die Stimme des Flusses Tigris und Auszüge des Gilgamesch-Epos: Leben und Sterben sind Teil der menschlichen Natur und betonen so die (scheinbare) Unausweichlichkeit des Todesurteils.

Das dichte Buch entfaltet eine enorme literarische Wucht und hallt lange nach. Prix Goncourt Debütroman 2021.

Fleur Hummel

 

Der Alltag mit einer alkoholkranken Mutter aus Tochtersicht

Buch Cover: 22 BahnenCaroline Wahl: 22 Bahnen. – Roman, 2023. – 204 Seiten

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22 Bahnen führt mitten ins Leben. Ins Leben dreier Frauen, die als Mutter und Töchter im traurigsten Haus der Fröhlichstraße in der der Protagonistin verhassten Kleinstadt zusammenleben. Die Mutter ist schwer alkoholkrank, Männer spielen keine erwähnenswerte oder dauerhafte Rolle. Tilda als die älteste der beiden Töchter sorgt für Ida. Tilda geht an die Universität, sitzt an der Supermarktkasse, um Geld zu verdienen und kümmert sich rührend um die kleine Ida und falls notwendig auch um die Mutter. Immer wieder sind die Kinder mit den Gewaltausbrüchen, Exzessen und Depressionen der Mutter konfrontiert, und die Zeichen können sie schon frühzeitig erkennen (verbrannte Spiegeleier). Zum Ausgleich geht Tilda ins Schwimmbad und zieht 22 Bahnen. Bei jedem Wetter, auch bei „Schwimmringwetter“. Wie Viktor, der nach einer Katastrophe alleine lebt. Sie kommen sich näher. Ivan, Viktors Bruder ist nicht mehr da, mit dem sie früher befreundet war. Die Mathematikstudentin Tilda hat eine Promotion in Berlin in Aussicht, und beginnt, von der Freiheit zu träumen, doch da ist Ida – kann sie sie mit der kranken Mutter alleine lassen?

Schonungslos berichtet Tilda von ihrem Leben, zerrissen, nicht altersgerecht, überfordert mit vielen Rollen und Aufgaben, die ihre Mutter nicht angenommen hat und ein Vater auch nicht. Die Sprache ist direkt und zeitgemäß. Und trotzdem blitzen immer wieder Glückmomente und ein Humor durch, die den tragisch-düsteren Alltag aufhellen und der Hoffnung eine Chance geben. Ein starkes Debüt.

Tanja Schleyerbach