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Irische Familiengeschichte über drei Generationen mit Tiefgang

Donal Ryan: Seltsame Blüten. – 2024. – 264 Seiten
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Genesis, Richter, Exodus, Hohelied, Weisheit, Offenbarung – so überschrieben sind die Kapitel des packenden Romans, der in den 70-er Jahren im streng katholischen Irland spielt. Moll Gladney ist verschwunden – ohne Zeichen, ins Nichts Abgetaucht, ihre Spur verliert sich. Ein unauffälliges Mädchen, angepasst, das abends mit ihren Eltern den Rosenkranz betet. Denen bricht das Herz darüber, und Klatsch und Tratsch im Dorf treiben wilde Blüten. Nach fünf Jahren ist sie plötzlich wieder da – mit einer Geschichte im Rucksack – und mit guten Gründen für ihr Verschwinden. Und sie kommt nicht alleine. Ihre Eltern leben auf einem gepachteten Stück Land, abhängig vom Besitzer desselben. Die Konventionen sind mächtig, die gesellschaftliche Kontrolle schnürt ein. Es ändert sich wenig über die Jahre hinweg. Am Ende sterben Menschen – nicht alle eines natürlichen Todes. Molls Sohn Joshua sucht seinen Weg im Schreiben und liest seine Geschichte sukzessive dem Stadtmädchen Honey vor. Über drei Generationen wird eine spannende Geschichte geflochten, und die Themen Rassismus, Schuld, lesbische Liebe, verbotene Liebe und Armut im Irland der 70er Jahre werden meisterhaft miteinander verwoben. Tiefgründige und fesselnde Familiengeschichte.
Tanja Schleyerbach
Wie hat das christliche Paradox, dass Schwäche eine Quelle der Stärke und Leiden ein Sieg sein kann, die gesamte westliche Welt so tief geprägt?
Tom Holland: Herrschaft : Die Entstehung des Westens. – 2023. – 624 Seiten
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Mit erzählerischer Brillanz stellt Tom Holland zweitausend Jahre christlicher Geschichte dar. In den Worten des Autors: „Die Geschichte, wie der Glaube daran, dass der Sohn des einzigen Gottes der Juden am Kreuz zu Tode gefoltert wurde, so dauerhaft und weit verbreitet wurde, dass die meisten Menschen im Westen heute nicht einmal mehr daran denken, dass es am Anfang ein Skandal war“. Dieses Buch untersucht, was am Christentum so subversiv und zerstörerisch war, wie es begann, die Mentalität der lateinischen Welt vollständig zu durchdringen, und warum im Westen, der religiösen Ansprüchen oft misstraut, noch so viele Instinkte - gute wie schlechte - ganz und gar christlich sind.
Ein lesenswertes, spannendes und anregendes Buch!
Ivana Nosic
Wie weit dürfen Eltern bei der Verwirklichung ihrer Träume gehen?
Suzanne Heywood: Wavewalker. – 2024. – 431 Seiten
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Suzanne ist sieben Jahre alt, ihr Bruder Jon sechs, als die Eltern beschließen, zu einer dreijährigen Weltumsegelung aufzubrechen. Es ist der Traum des Vaters und was zunächst noch wie ein aufregendes Abenteuer beginnt, wird für Suzanne schnell zu einem Albtraum mit schweren Stürmen, einer gebrochenen Nase und einer Schädelfraktur, Schmerzen, Angst, knappen Nahrungsmitteln, ständig wechselnden Crewmitgliedern, beengten Räumlichkeiten, fehlenden Freundinnen und keiner Möglichkeit, zur Schule zu gehen.
Die Eltern ignorieren die Bedürfnisse der Kinder und verlängern nach den geplanten drei Jahren die Fahrt und so muss Suzanne ihre Kindheit und Jugend auf dem Schiff und in verschiedenen Hafenstädten verbringen, bis sie sich mit siebzehn Jahren endlich von den Eltern lösen und nach England zurückkehren kann.
Erst viele Jahre später schafft sie es, sich durch das Schreiben des Buches ihren Kindheitserfahrungen und den traumatischen Erlebnissen zu stellen und den Lesern dadurch einen Einblick in das vermeintlich freie und traumhafte Seglerleben zu geben.
Das Buch geht einem an die Nieren und es zerreißt einem fast das Herz, als sie von der Abstimmung erzählt, die nach drei Jahren abgehalten wird: es geht darum, ob die Reise weitergehen soll oder nicht. Die Eltern stimmen mit „ja“, die Kinder hoffnungsvoll mit „nein“. Daraufhin der Kommentar des Vaters: „Ihr Kinder müsst begreifen, dass das hier keine Demokratie ist. Es ist eine wohlwollende Diktatur. Der Kapitän hat immer das letzte Wort.“
Renate Goldbrunner
Der Weg ist das Ziel
Schweikle, Johannes: Über den Schwarzwald : Entdeckungsreise auf dem Westweg. – 2024. – 254 Seiten
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Der Autor J. Schweikle hat den Schwarzwald auf dem Westweg von Norden (Pforzheim) nach Süden (Basel) – keiner wandert von Süd nach Nord - erwandert. Er wurde begleitet vom Fotograf Daniel Keyerleber, der die Texte mit aussagestarken Bildern ergänzt.
Neben Einflechtung von zahlreichen literarischen Texten und geschichtlichen Anekdoten, ergeben die Beschreibungen von Begegnungen mit Einheimischen in ihren Heimatorten oder Höfen und Besuchern bzw. Wanderern im Wald ein wunderbares Buch, das die Faszination des Schwarzwalds über Generationen hinweg hervorhebt.
Man möchte beim Lesen am liebsten gleich loswandern.
Alexandra Piper
Grundlegende und überraschende Erkenntnisse über das Atmen
James Nestor: Breath. Atem. Neues Wissen über die vergessene Kunst des Atmens. – 2024. – 332 Seiten
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James Nestor hat viel Wissen über das Atmen zusammengetragen – aus teilweise jahrtausendealten Schriften aus vielen Kulturen und aus aktuellen Erkenntnissen und Forschungsergebnissen. Er nimmt seine Leser*innen auf unterhaltsame Weise mit auf eine Reise seiner eigenen teilweise extremen Experimente. Kein Weg ist ihm dabei zu weit, keine Versuchsmethode und kein Experte zu abwegig oder zu teuer. Nicht alles kann dabei verifiziert werden.
Für so genannte „Zivilisationskrankheiten“ (Stress, Burnout u.a.) hält die moderne Medizin aus seiner Sicht keine grundsätzlich wirksamen Heilungsmethoden bereit, und Nestor empfiehlt, diese mit verschiedenen Atemtechniken bereits präventiv zu verhindern. Es gibt interessante Parallelen zwischen den modernen Erkenntnissen und denen früherer Kulturen. Am Ende gibt er einen Überblick über alle behandelten Methoden und belegt seine Studien mit einem umfangreichen Fußnotenanhang. Eine umfassende Bibliographie ist online abrufbar. Über manche Formulierungen wie Gefangenenblick, Indianer oder Blondine u.a. bin ich gestolpert, hier wäre eine weniger diskriminierende Formulierung wünschenswert.
Nicht jede der Methoden ist für jede*n in jeder Situation empfehlenswert, und manche würde ich niemals ausprobieren, aber die Atemregulierung für ein gesundes Leben ist ein denkbar einfacher Zugang, der jede*r offensteht und der bei konsequenter Anwendung vermutlich nicht ohne positive Folgen für ein besseres Gleichgewicht bleiben wird. Der Spiegel-Bestseller ist empfehlenswert, um sich einen Überblick zu verschaffen, welche Bedeutung dem Atem in seiner Komplexität dem Körper und der Seele zukommt. Viele Fragen sind noch offen und bedürfen weiterer Forschungen und Experimente. Anregend und immer wieder überraschend.
Tanja Schleyerbach
Nordischer Western
King’s land. – Regie: Nikolaj Arcel – 2024 – 122 Minuten – ab 16 Jahre
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Dänemark, Mitte des 18. Jahrhunderts: Der ehemalige Soldat Ludvig Kahlen (Mads Mikkelsen) folgt dem Aufruf des dänischen Königs, die unfruchtbare jütländische Heide zu kultivieren. Als Belohnung winkt neben Geld die Erhebung in den Adelsstand. Kämpfen muss Ludvig aber nicht nur gegen die unerbittliche Natur, sondern auch gegen den örtlichen Gutsherren Frederik De Schinkel, der Ludvigs Vorhaben mit allen Mitteln torpediert.
Unterstützung erfährt Ludvig von der Magd Ann Barbara (Amanda Collin) und dem Sintomädchen Anmai Mus (Melina Hagberg). Doch dem Zusammenwachsen zu einer glücklichen Familie stehen das brutale Vorgehen De Schinkels ebenso im Weg wie Ludvigs stures Festhalten an seinem Traum vom sozialen Aufstieg.
Ein bildgewaltiges Historiendrama, das eine zeitlose Geschichte erzählt. Getragen wird der Film von der brillanten Darstellung Ludvigs durch Mads Mikkelsen, der für diese Rolle mit dem Europäischen Filmpreis ausgezeichnet wurde.
Sarah Trost
Zwischen Traum und Wirklichkeit
Han Kang: Unmöglicher Abschied. – 2025 – 315 Seiten
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Als die südkoreanische Autorin Han Kang im vergangenen Jahr den Literaturnobelpreis verliehen bekam, war dem deutschen Publikum allenfalls ihr Roman „Die Vegetarierin“ ein Begriff, der 2016 ins Deutsche übersetzt wurde. Mittlerweile sind einige Titel der Autorin auch auf dem deutschen Buchmarkt erschienen, zuletzt der Titel „Unmöglicher Abschied“.
Das Buch erzählt die Geschichte von zwei Frauen, deren Freundschaft prägend ist für das Leben beider Figuren. Nach einem Unfall bittet die eine die andere, ihr Zuhause auf der Insel Jeju aufzusuchen, weil ihr kleiner weißer Vogel sterben wird, wenn ihn niemand füttert. Es beginnt eine Reise durch den Schnee und durch dunkle Kapitel koreanischer Geschichte.
Es ist die Sprache von Han Kang, die einem beim Lesen immer weiter vorantreibt. Man verirrt sich mit der Hauptfigur im Schnee und wird getragen von der Stille, die Raum gibt für innere Prozesse zwischen Traum und Wirklichkeit. Im Stil des magischen Realismus erzählt Han Kang von Herkunft und Freundschaft und was man bereit ist für sie zu tun.
Ein Buch, mit dem man sich auseinandersetzen muss, keine leichte Unterhaltung und doch fesselnd. Ich habe es an einigen Abenden ohne Musik und andere Ablenkung im Hintergrund gelesen und war gedanklich umgeben von Schnee und Stille vor allem begeistert von der Kraft der Sprache.
Argiro Mavromatis